Privatissimum, Dienstag, 17.30-20.30 Uhr (14-tägig), ./.
PHILOSOPHIE UND POLITIK DER MULTIKULTURALITÄT
/ PHILOSOPHY AND POLITICS OF MULTICULTURALISM
Gemeinsam mit / In
cooperation with Durmuş Gamsιz
Beschreibung:
© Hans Köchler,
2012.
Mit der vor der Jugendorganisation ihrer Partei im Oktober 2010 in Potsdam
gemachten Äußerung über das Scheitern des "Multikulti"-Ansatzes in
Deutschland hat Angela Merkel eine Kettenreaktion in der bisher um
"politische Korrektheit" bemühten Öffentlichkeit in Europa ausgelöst. Kurz
darauf äußerten sich der französische Staats- und der britische
Regierungschef in ähnlichem Sinne. Durch diesen plötzlichen Tabubruch
sahen viele den ohnedies fragilen gesellschaftlichen (staatspolitischen) Konsens
der europäischen Einwanderungsgesellschaften gefährdet.
Auf diesem "realpolitischen"
Hintergrund ist es Aufgabe der Philosophie, die Grundsätze der Multikulturalität
sine ira et studio herauszuarbeiten und eine rationale Antwort auf
die Frage zu suchen, inwiefern das kulturelle Selbstverständnis eines
Volkes sich überhaupt erst in Wechselwirkung mit anderen Kulturen und
Wertvorstellungen entwickeln kann. Die Ausformung der Identität von
Kollektiven folgt denselben Strukturgesetzen wie die Dialektik des
Selbstbewusstseins, nach welcher das Ich seine Identität nur in der
Differenz findet. Hier wäre auch ein Blick auf die europäische
Geistesgeschichte von Nutzen, zumal die Renaissance
- als Wiederentdeckung des klassischen Altertums und Rückbesinnung
auf den λόγος
-
ohne den Anstoß der arabisch-islamischen Philosophie nicht möglich gewesen
wäre.
Die durch den unaufhaltsamen Prozess der Globalisierung in den letzten beiden Jahrzehnten ausgelöste
soziale Dynamik hat in den klassischen europäischen Nationalstaaten eine
Art Identitätskrise ausgelöst. Die durch die neue, ungewohnte
Wettbewerbssituation und die "Fremdheit" der Mitbewerber jenseits und
innerhalb der Grenzen des eigenen Staates verursachten Ängste und
Vorurteile sind überall in Europa zu innenpolitischem Kapital (gemacht)
geworden. Insbesondere in traditionell
monokulturellen Staaten wie Deutschland oder den skandinavischen Ländern
muss man erst den richtigen Umgang mit der durch die Migration bewirkten
kulturellen Vielfalt lernen, wobei nicht übersehen werden darf, dass die
Arbeitsmigration
(ohne Bedachtnahme auf kulturelle Unterschiede) ursprünglich von diesen Staaten im eigenen wirtschaftlichen
Interesse begrüßt, ja herbeigeführt worden war. Was das Staats- und
Verfassungsverständnis betrifft, so könnte ein Blick über die Grenzen des
Kontinents zu den ehemals unter Kolonialherrschaft stehenden Staaten
helfen, wo die Akzeptanz der Multikulturalität wesentliche Voraussetzung für
die Erlangung der staatlichen
Unabhängigkeit war und weiterhin Garant der Prosperität und langfristigen Stabilität
des Gemeinwesens ist.
Im Rahmen des Seminares soll das Für und Wider der Thesen zur
Multikulturalität unter anderem anhand einer Analyse der programmatischen
Erklärungen der politisch Verantwortlichen in Europa und den USA erörtert werden. In
diesem Sinne ist Kulturhermeneutik unter den Bedingungen der
globalisierten Gesellschaft auch Ideologiekritik. Im
theoretischen Bereich sollen insbesondere die Konzeptionen von Samuel
Huntington ("Who Are We?") und Thilo Sarrazin ("Deutschland schafft sich
ab") untersucht werden. Weiters sind die immer häufiger werdenden innenpolitischen Äußerungen
und Polemiken zur
Multikulturalität im Hinblick auf die zugrundeliegende Interessenlage
(Populismus?)
zu analysieren. Schließlich soll der Frage nachgegangen
werden, inwiefern die Konzeption des "Nationalstaates" unter den
Bedingungen der modernen Migrationsgesellschaft noch aufrechterhalten
werden kann - oder ob eine de facto multikulturelle Gesellschaft
nicht die begriffliche Trennung von Staat und Nation notwendig macht. In
diesem Kontext sind auch die Begriffe von "Integration" und "Assimilation"
und die mit diesen einhergehenden gesellschaftlichen Erwartungen neu zu
bestimmen.
Für die philosophische Befassung mit der Problematik der Multikulturalität
gelten keine wie immer gearteten Richtlinien politischer Korrektheit oder
ideologisch-weltanschaulicher Konformität, sondern ausschließlich die Grundsätze
des rationalen Denkens - und insbesondere die Forderung der
Widerspruchsfreiheit der Argumentation bzw. in der
normativen Systematik. Jedwede Form politischer Instrumentalisierung - in welche
Richtung auch immer -
ist der Philosophie abträglich.
Literaturhinweise:
Ausgewählte Literatur
von Hans Köchler:
Online
Resources:
Modus:
Referat mit
schriftlicher Arbeit, welche spätestens zum Ende der
Lehrveranstaltungsperiode in digitaler Form (mit einem Ausdruck) abzugeben
ist. Für das Referat muß ein Abstract vorbereitet werden. Von den
Teilnehmern können zusätzliche, hier nicht angeführte Themen bearbeitet
werden. Die Themenliste für die Referate wird in der Vorbesprechung erarbeitet. Eine Teilnahme ist nur
im Zusammenhang mit einem Referat möglich. Für die Benotung werden neben
der schriftlichen Arbeit auch das Referat und die Diskussionsteilnahme
herangezogen. Gute Englischkenntnisse sind Voraussetzung für die
Teilnahme. Persönliche Anmeldung erforderlich.
Vorbesprechung: 9. Oktober 2012 im Seminarraum 4DG14,
Innrain 52B.
N.B.: Die Anführung
eines Textes oder eines Links bedeutet nicht, daß sich der
Lehrveranstaltungsleiter mit den dort vertretenen Thesen, Meinungen oder
Wertvorstellungen identifiziert oder die Ziele der jeweiligen Institution
oder Gruppierung unterstützt.
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