Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Köchler

Institut für Philosophie, Universität Innsbruck

Seminar Wintersemester 2006/2007, Dienstag, 17-19 Uhr,  Seminarraum 15, Institut für Philosophie, Innrain 52B, 8. Stock
 

ETHISCHE UND RECHTLICHE PROBLEME DER NUKLEARPOLITIK

Mit Informationsbesuch bei der International Atomic Energy Agency (IAEA) und der Vorbereitungskommission der Organisation for einen umfassenden Nuklearteststopp (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, CTBTO) am Sitz der Vereinten Nationen in Wien

Gemeinsam mit Christoph Wurnitsch

- In Zusammenarbeit mit International Progress Organization (Wien) -

Informationsbesuch bei den internationalen Organisationen in Wien

 

Beschreibung:

Lange vor der Erfindung der Nuklearwaffen hat sich die Menschheit auf völkerrechtliche Prinzipien geeinigt, welche die Ächtung von Massenvernichtungswaffen implizieren. Die Grundsätze der Haager Landkriegsordnung von 1899 wurden nach und nach in den Normenbestand des humanitären Völkerrechts übernommen und nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere in den Genfer Konventionen von 1949 festgeschrieben. Trotz dieses Umstandes herrscht seit dem Einsatz von Atombomben gegen zwei Städte im Jahre 1945, was den diplomatischen Diskurs betrifft, mehr oder weniger betretenes Schweigen. Die herrschende Völkerrechtslehre scheint sich mit dem philosophisch durchaus problematischen Grundsatz von der "normativen Kraft des Faktischen" weitgehend abzufinden. Einzig die internationale Friedensbewegung hat  die Frage der Nuklearwaffen widerspruchsfrei thematisiert.

Die derzeit geltenden Bestimmungen des humanitären Völkerrechts untersagen ausdrücklich Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Massenvernichtungswaffen, welche von ihrer physikalischen Natur her die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen grundsätzlich ausschließen, müßten daher nach den Regeln der Normenlogik unter dieses Verbot fallen. Trotz dieses Umstandes wird die Herstellung und Lagerung von Atomwaffen von der Mehrzahl der Staaten offenkundig nicht für völkerrechtswidrig gehalten; die in der Organisation der Vereinten Nationen einflussreichsten Staaten halten einhellig an der Völkerrechtskonformität auch des Einsatzes von Nuklearwaffen fest. Diese Haltung führte zu der in rechtlicher Hinsicht geradezu grotesken "Vorsichtsmaßnahme" Frankreichs im Rahmen der Unterzeichnung des Römer Statutes des Internationalen Strafgerichtshofes: man wollte im Rahmen einer "interpretierenden Erklärung" festgehalten wissen, daß die unter dem Titel "Kriegsverbrechen" aufgelisteten Strafrechtstatbestände  sich ausschließlich auf den Einsatz konventioneller Waffen, nicht jedoch von Nuklearwaffen, beziehen. Es wird weiters kritisch zu prüfen sein, ob zentrale Grundsätze des humanitären Völkerrechts − wie die Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten − als moralisch unverbindliche Empfehlungen abgetan werden können, wie dies Vertreter der realistischen Schule versuchen.

Die Maxime quod licet Iovi, non licet bovi hat bis zum heutigen Tag die Nuklearpolitik der Großmächte bestimmt. Diese Maxime könnte auch über dem Vertragswerk über die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen (NPT) stehen, welches die rechtliche Grundlage der Tätigkeit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bildet. In einer zentralen Überlebensfrage der Menschheit ist jedoch das Messen mit zweierlei Maß nicht nur unangebracht, sondern verheerend, da unter derartigen Umständen weder die moralische Legitimität noch die normenlogische Konsistenz der Abrüstungspolitik sichergestellt werden kann. Der ausschließlich machtpolitisch orientierte Umgang mit der Nuklearfrage (mit der "Privilegierung" der Nuklearmächte im NPT) findet allerdings seine Entsprechung in der machtpolitischen Privilegierung der fünf Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, wodurch die einheitliche und konsistente Anwendung von Völkerrechtsnormen von vornherein unmöglich gemacht wird.

Das Seminar soll die Fragen, die aus Gründen politischer Opportunität weder von der Organisation der Vereinten Nationen noch von großen weltanschaulichen Institutionen wie der katholischen Kirche gestellt werden, aber auch von der dominierenden Völkerrechtslehre eher taktisch, denn wissenschaftlich kompromisslos angegangen werden, einer philosophischen Analyse unterziehen und insbesondere die inneren Widersprüche im Atomwaffensperrvertrag und in der allgemeinen völkerrechtlichen Herangehensweise an das Problem der Nuklearwaffen aufzeigen.

Abhängig vom Verlauf des Seminars ist ein Informationsbesuch bei der International Atomic Energy Agency (IAEA) und bei der Vorbereitungskommission der Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization (CTBTO) am Sitz der Vereinten Nationen in Wien vorgesehen. Führende Vertreter der beiden Organisationen werden einen Einblick in die Tätigkeit der Organisationen geben und für Fragen im Zusammenhang mit den im Seminar erörterten Themen zur Verfügung stehen. Zusätzlich ist ein Referat des Vorsitzenden des NGO Committee on Peace, Univ.-Prof. Dr. Thomas Schönfeld, zum Entscheidungsprozeß über den Einsatz von Atombomben in Hiroshima und Nagasaki vorgesehen.

Themenstellungen (Auswahl):

  • Nuklearwaffen und humanitäres Völkerrecht

  • Die Frage der Vereinbarkeit von Atomwaffen mit der christlichen Friedensethik

  • Warum wurde der Einsatz von Nuklearwaffen nicht als Kriegsverbrechen geahndet?

  • Die Doktrin der nuklearen Abrüstung

  • Frieden durch nukleare Abschreckung ("nuclear deterrence")?

  • Zur Frage von Logik, Moral und Effektivität der "nuklearen Abschreckung"

  • "Nuclear primacy" versus "mutual assured destruction": Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik?

  • Die Beurteilung der Völkerrechtskompatibilität von Nuklearwaffen durch den Internationalen Gerichtshof

  • Nuklearwaffen und die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes

  • Das Problem der moralischen Glaubwürdigkeit und rechtlichen Konsistenz des Regimes zur Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen ("nuclear non-proliferation régime")

  • Die machtpolitischen Hürden des Vertrages über ein umfassenden Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty): Analyse der Gründe des Nichtinkrafttretens

  • Die normenlogische Problematik des Sonderstatus der Nuklearmächte im Völkerrecht (Das Problem der "Glaubwürdigkeit" des NPT)

  • Die völkerrechtliche Immunität der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates im Hinblick auf den möglichen Einsatz von Nuklearwaffen

  • Analyse der bisherigen Politik der nuklearen Abrüstung im Hinblick auf ihre moralische Glaubwürdigkeit

  • Nuklearwaffen und Machtpolitik: zur Frage der "nuclear apartheid"

  • Analyse der Vorschläge der Weapons of Mass Destruction Commission (WMDC) zur Abschaffung der Massenvernichtungswaffen

  • Fallstudien zu den Nuklearkontroversen um Iran und Nordkorea

Literaturhinweise:

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    • WEAPONS OF TERROR. Freeing the World of Nuclear, Biological and Chemical Arms -- WMDC Report (2006)

    • Dokumentensammlung: NuclearFiles.org -- Project of the Nuclear Age Peace Foundation

    • Bulletin of the Atomic Scientists

    • International Committee of the Red Cross (ICRC): "Weapons and international humanitarian law"

    Organisationen:

    Programm des Informationsbesuches bei den internationalen Organisationen in Wien: